fremd, freundlich, frisch

Was von der Vielzahl der kreierten Produkte bleibt? Wer bestimmt das? Was ist gutes Design? Und sieht es, bei aller Globalisierung, in anderen Ländern anders aus? 2012 startete an der FH Potsdam ein Projekt namens „Pappel Designpreis“, das der Frage nach Qualität und Dauer im Design nachging. Schauplatz war das Berliner Designfestival DMY. Interface-, Kommunikations- und Produktdesignstudierende suchten dort in zwei aufeinander folgenden Jahren nach bemerkenswerten Designlösungen. Im dritten Jahr entstand die Idee die gewohnte Umgebung zu verlassen. Statt auf dem DMY-Festival präsent zu sein, wollten die Potsdamer Studierenden den internationalen Austausch jenseits einer inszenierten Festival- oder Messepräsenz. Am authentischen Ort, dort wo das jeweilige Design entsteht, wollten sie herausfinden, ob es im Zeitalter der fortschreitenden Globalisierung eine „regionale“ Handschrift gibt. Ihre Wahl fiel auf Amsterdam. Die niederländische Metropole steht seit Jahren für frisches und unkonventionelles Design, für Entspanntheit und liberales Lebensgefühl.

Uns des Blickes von Fremden bewusst begaben wir uns auf Spurensuche, um dort „typisches“ Design zu finden. In einen anderen Land oder schon in einer anderen Stadt beginnt wohl jeder unwillkürlich, das Terrain in bekannt und fremd einzuteilen, die Bevölkerung zu beobachten, sich anzupassen und bestimmte Erwartungen an sein Gegenüber zu entwickeln. Ein unerwartetes Verhalten wird entsprechend als anders, als fremd bewertet und dieses individuell und subjektiv. Das Fremde ist relativ, je nach bereits gemachten Erfahrungen. Unser Blick von außen konnte Bemerkenswertes zutage fördern, das durch die Perspektive derjenigen, die dort leben und/oder arbeiten nicht unbedingt wahrgenommen wurde. Umgekehrt kann die Außenperspektive schnell in bekannten Klischees steckenbleiben, wenn es kein Korrektiv derjenigen gibt, die in diesem urbanen Raum zuhause sind. Erst die Betrachtung von Außen und Innen ergibt ein vielfältiges Bild über das Design eines Ortes.

Wer in Amsterdam schon Bus gefahren ist, der weiß, wie man bezahlt. Für eine fremde Touristin wie mich hieß es hingegen: nicht irgendwo einsteigen, sondern vorn, weil die Tickets nicht wie in einem italienischen „Tabacchi“, sondern beim Busfahrer zu kaufen sind. Ratloser Blick, nachdem mir der Busfahrer mit einer Handbewegung in Richtung Ausgang bedeutet, ich solle das Ticket entwerten. Ich nehme also die Karte und suche irgendwo einen Schlitz. Die Karte muss vor ein Sensorfeld gehalten werden. Aha. Der Busfahrer lacht. Keine 100 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt machen Erlebnisse wie dieses das Ankommen in Amsterdam zu einer Abfolge permanenter Irritation. Und eine Abfolge von Suchen: Die Haltestelle, den Supermarkt, den Fahrradverleih. Reisen ist auch Entschleunigen. Anfangs versuchen wir übrigens uns mit GoogleMap, GPS und Offline-Maps zu orientieren. Am Ende des ersten Tages kaufen fünf von neun unserer Gruppe einen analogen Stadtplan.

Insgesamt blieben wir sechs Tage. Unsere Potsdamer Reisedelegation traf sich mit Studierenden und Lehrenden der Gerrit Rietveld Academie, interviewte Designer wie Niels Schrader und Roger Willems und besuchte KulturInstitutionen wie etwa das Dutch Culture und Casco. (Letzteres ist zwar in Utrecht, wurde aber von mehreren Amsterdamern als inspirierend erwähnt. Wir wurden neugierig.) Auch wie und wo Design verkauft wird wollten wir wissen und machten uns auf den Weg zu zahlreichen Geschäften und Galerien, z.B. Moooi, Six and Sons, Restored und das legendäre The Frozen Fountain, seit über 30 Jahren die Amsterdamer Institution in Sachen Design-Verkauf. Gespannt waren wir auch auf die damals aktuelle Ausstellung des wohl bekanntesten Produktdesigners Amsterdams: Marcel Wanders. Nicht nur dort im Stedelijk-Museum ist uns immer wieder augenzwinkernde Selbstironie begegnet – sowohl bei unseren Interviewpartnern als auch in den Produkten. Es kommt nicht von ungefähr, dass der Niederländische Kommunikationsdesigner Kees Dorst in seinen „150 Reflections on Being a Designer“ auch über Humor schreibt:
„... Anywhere you go you will see people do incredibly clumsy things with products, and every funny action you observe is a seed for a product idea ... Having a sense of humour helps if you are designer.“*

Rückblickend bewegte sich unser Besuch zwischen „fremd“, „freundlich“ und „frisch“. An manchen Tagen bekamen wir so viele Impulse und unterschiedliche Eindrücke, dass wir – statt uns ins Nachtleben zu stürzen – geschafft ins Bett sanken. Wir danken all den Menschen, die uns bei unserem Aufenthalt so freundlich und hilfsbereit unterstützt haben. So manche Namen und Orte erfuhren wir erst in Amsterdam. Dennoch ergaben sich kurzfristig inspirierende Begegnungen.