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Über Mentalität, Vertrauen und Inspiration

ein Gespräch mit

Dirk Laucke

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Dirk Laucke, geboren und aufgewachsen in Berlin, studierte an der Universität der Künste, bevor es ihn 1994 nach Amsterdam zog. Der Grafikdesigner arbeitete bei Total Design und Dedato und gründete im Jahr 2000 sein eigenes Studio. Aus dem damals von Laucke geplanten dreimonatigen Aufenthalt in Amsterdam sind mittlerweile 18 Jahre geworden. 2010 eröffnete er zusammen mit Johanna Siebbein einen zweiten Agenturstandort in Berlin Kreuzberg. Studio Laucke Siebbein erarbeitet Designstrategien und visuelle Lösungen für Grafik-, Buch-, Typografie- und Webdesign Projekte. Laucke und Siebbein haben diverse Kunden aus dem Kultur- und Kunstkontext bis hin zu multinationalen Unternehmen.

Wie kam es, dass du ein zweites Studio in Berlin gegründet hast?
Als die Finanzkrise begann, haben die Niederlande viel auf Kosten ihres umfangreichen Kunst und Kulturbereiches eingespart. Dies tun sie bis heute. 2008 war es eine Ahnung und 2010 spürbar, dass unsere Kunden kein Geld hatten. Damals kam uns die Idee, einen zweiten Standort in Berlin aufzubauen. Wir ließen das Studio mit Johanna für ein Jahr auf Probe laufen. Es lief sofort gut, weshalb wir uns auch im Moment mehr auf Deutschland konzentrieren. Wir haben das Gefühl, dass dort mehr möglich ist – nicht, weil die Deutschen schlauer sind, sondern weil sie mehr Geld haben und auch mehr wollen.
Arbeitest du auch in Berlin?
Ich reise nicht nach Berlin, um auf Produktniveau zu arbeiten, bin aber oft dort für Besprechungen, Akquisition und Angelegenheiten, die strategisch gelöst werden müssen. Ich bin mit meinen 48 Jahren der Älteste im Betrieb und habe in diesen Dingen viel Erfahrung.
Unser Eindruck von Amsterdam ist, dass hier ein großes und ausgeprägtes Designverständnis herrscht. Stimmt das? Du hast den direkten Vergleich der Designszenen in Berlin und Amsterdam. Was sind diesbezüglich die größten Unterschiede zwischen den Städten oder Ländern?
Das ist ein sehr komplexes Feld. Was du sagst ist wahr, aber die Gründe sind wahrscheinlich andere als ihr denkt. Es ist statistisch gesehen unwahrscheinlich, dass es in Holland mehr Designtalente gibt als im Rest der Welt. Auf den ersten Blick sind die beiden Länder sehr ähnlich und gut vergleichbar. Beides sind säkularisierte Länder, die in christlicher Tradition stehen und somit eine ähnliche Basis haben. Ebenso sind sie auch deutlich vom Humanismus und der Aufklärung geprägt. Beide Länder sind Wohlfahrtstaaten und stehen bezüglich Design in der Tradition des Modernismus und Minimalismus, dem Bauhauserbe. Es ist also interessant zu schauen, wo tatsächlich die Unterschiede liegen, und die sind subtil. Historisch bedingt gibt es den großen Unterschied, dass im letzten Jahrhundert die bestehenden Netzwerke in Deutschland mindestens dreimal völlig zergeschlagen wurden – nach dem ersten Weltkrieg, nach dem zweiten Weltkrieg und zuletzt im Jahr 1989 – während in dieser Periode die Netzwerke in den Niederlanden wachsen konnte. Das ist bis heute bedeutungsvoll für die Art des kollektiven Gefühls in den Niederlanden. Die Holländer haben ein stärkeres „Wir-Gefühl“ als die Deutschen. Das manifestiert sich zum Beispiel in der Sprache. Es scheint absurd, dass eine Gruppe holländischer Frauen „Jungs“ zueinander sagen: „Kommt Jungs, wir gehen“. Den Holländern ist das geschlechtsneutrale Sprechen völlig fremd. Für eine Holländerin ist es eine große Beleidigung, wenn man DesignerIN zu ihr sagst. Sie ist Designer. Eine Präsidentin ist Präsident. Das kommt dadurch, dass hier vielmehr das Gefühl „Wir kennen uns“ herrscht und „Wir gehören zu einer Art Old Boys Netzwerk“. Ich küsse zum Beispiel meine Kunden links, rechts, links, entlang der Wange. In Deutschland ist es unvorstellbar, dass ich meine Kunden mit drei Küssen begrüße, während das in Holland Standard ist.

Wenn man ein schlechtes Resultat will, muss man so viele Leute wie möglich um ihre Meinung fragen.

Wie spiegelt sich dieses kollektive Gefühl in der Arbeit als Designer wider?
In der Mentalität „Wir kennen einander“, kann man auch sagen „Wir vertrauen einander“. Und das spiegelt sich auch in den Institutionen und Unternehmen wider. In Deutschland sind die Strukturen eher hyperdemokratisch und formell. Wenn ich in Deutschland einen großen Auftrag abschließe, sitzen immer Rechtsanwälte dabei, während ich in Holland, in all den Jahren, nie einen gesehen habe. Das verursacht eine Atmosphäre von „Wir müssen einander noch abtasten“. Wir sind in Deutschland keine Old Boys, sondern spätestens seit 1989 ist jeder ein Newcomer. Es gibt eine Art Faustregel im Design: Wenn man ein schlechtes Resultat will, muss man so viele Leute wie möglich nach ihrer Meinung fragen. Genau das ist das Wesen demokratischer Beschlussformeln. Das führt dazu, dass hochmotivierte Ideen oft in einer komplizierten und umfangreichen Entscheidungsfindung plattgebügelt werden. Eine Definition von Design könnte das Übersetzen des Vokabulars des Auftraggebers in das Vokabular unserer Disziplin sein. Aber was übersetzt man eigentlich? Für eine deutsche Institution, für die wir arbeiten, entsteht aufgrund der komplexen Organisation eine Kakophonie aus Meinungen, die ich auch nur zu einer neuen Kakophonie übersetzen kann, während ich einen deutlichen Satz in eine adäquate visuelle Form bringen könnte. Das ist wohl ein Grund dafür, dass die wilde Expression, die man im niederländischen Grafikdesign als spektakulär wahrnimmt, in Deutschland seltener zu finden ist.
Ist es dadurch auch leichter, in Holland an einen großen Auftrag zu kommen?
Nein. Der Vorteil in Deutschland ist, dass der Markt im Moment offener und liberaler ist. In den Niederlanden kommt man nicht an einen Auftrag, wenn man nicht jemanden kennt, der jemanden kennt. Das gibt es in Deutschland auch, aber weniger, da alle Prozeduren stark formalisiert sind. Jede Kleinigkeit wird europäisch ausgeschrieben. Das kann nervig sein, ist aber eine große Chance für die Newcomer. Niemand hat in Deutschland einen Vater von einem Vater von einem Vater, der in der richtigen Position war. In Holland geht das sehr weit: Daher empfinde ich den niederländischen Markt, der sowieso schon schmal wird, als sehr geschlossen und sich ständig selbstbefruchtend. Ich habe den Eindruck, dass in Deutschland gerade eine gute, frische, beinahe hysterische Dynamik wächst, die die Welt im Bereich Grafikdesign erobert.

Ich komme rein und ich bin der „Herr Designer“ – in Deutschland hingegen bin ich der servicegerichtete Dienstleister.

Und doch scheint es so, als wären die niederländisches Designer sehr viel selbstbewusster. Woran liegt das?
Es gibt eine weitere kulturhistorische Tatsache, die das holländische Grafik und Produktdesign so interessant macht: Die Holländer „ersaufen“, wenn sie nichts unternehmen. Die Grundlage, um die Füße trocken zu halten, ist ein gut organisiertes Kollektiv: Dieses muss sauber kommunizieren können – und das können die Holländer. Ein anderer Punkt, um die Füße trocken zu halten, ist ein gesunder Menschenverstand und Pragmatismus, welche interessanter sind als die jugendliche Übertreibung und der Wahnsinn. Das ist ein Phänomen und Grund, warum das niederländische Design gut funktioniert und die niederländische Kunst im Vergleich zur deutschen so schlecht abschneidet. Kunst steht für die jugendliche Übertreibung, der Typ Ikarus, während Design eher der Dädalus ist, die technische Vernunft. „Design“ ist schlau, Kunst hingegen hyperintelligent. Ich vermute, das ist den Niederländern zu gefährlich. Mit diesem Typ kann man in Holland nichts anfangen. Ich habe den Eindruck, dass die Holländer Design als eine Art Surrogatkunst, einer Ersatzkunst, erklärt haben. Es ist das einzige Land, wo Designer die gleichen Subventionen bekommen können wie Künstler. Dadurch haben die holländischen Designer ein irrsinniges Selbstvertrauen. Ich werde hier anders behandelt als in Deutschland. Ich komme rein und ich bin der „Herr Designer“ – in Deutschland hingegen bin ich der servicegerichtete Dienstleister. Den deutschen Aufklärungs- und Selbstlegitimationsdruck haben die Holländer nicht. Das Selbstvertrauen der niederländischen Designer basiert einerseits auf der Tatsache, dass sie den Status eines Künstlers genießen, und andererseits auf den flachen Hierarchien der Organisationen, die es einfacher machen, das Niveau zu halten.
Denkst du, man kann Design national verorten?
Wir schöpfen, noch mehr als in den 90er Jahren, als Bücher noch unser Brunnen waren, aus dem Internet. Damals konnte man noch einen großen Unterschied zwischen französischem Design, deutschem Design, holländischem Design erkennen. Heute rückt alles immer näher zusammen. Die Einzigen, die nichts hinbekommen, sind die Südeuropäer, die mediterranen Länder: Griechenland, Italien, Spanien, Portugal. Es ist wie gesagt, unwahrscheinlich, dass Talent ungleichmäßig verteilt ist und es kann daher nur an der Ausbildung liegen.
Du hast an der HfK in Bremen gelehrt. Kannst du einen Vergleich zwischen der niederländischen und der deutschen Designausbildung ziehen?
In Deutschland kann man besser auf universitärem Niveau studieren. Das ist eine große Chance, da man an Universitäten länger studieren kann als an Fachhochschulen. In Holland sind alle Schulen Fachhochschulen. Hier gibt es nur die Rietveld, die sich so benimmt, als wäre sie eine Universität. Und von dort kommen sehr gute Leute. Genauso wie aus Arnhem von der ArtEZ und der Masterausbildung am Werkplaats Typographie. Das sind gute Designforschungsstätten. Ich habe nie in Holland studiert, aber es scheint mir, als wäre Deutschland, gerade was die Designbildung angeht, sehr fortschrittlich.
Wir als Studierende fragen uns im Designprozess oft, ab wann man anfängt zu kopieren und ab wann man von reiner Inspiration reden kann. Was denkst du zum Thema Inspiration? Was inspiriert dich?
Der Grad zwischen Inspiration und Plagiat ist schmal und viele verwechseln diese zwei Dinge. Ich sehe das bei Praktikanten, die ihr Tun oft an der Frage „Ist das cool?“ spiegeln. Das ist kein relevanter Maßstab, an dem man seine Arbeit ansetzen kann. Es ist für Studenten jedoch gut und wichtig zu plagiieren. Man empfindet dann sehr gut nach, wie etwas eigentlich gemacht ist. Aber man muss natürlich damit aufhören. Wenn man für einen echten Auftraggeber arbeitet, ist die Gefahr groß, etwas zu tun, das möglicherweise gar nicht zu der Fragestellung passt. Und dabei muss man das Klischee, über das was gut aussieht loswerden. Sachen sehen nicht gut aus, weil sie so gut aussehen, sondern weil sie mit der richtigen Bedeutung aufgeladen sind. Dafür brauchst du dir die Arbeit von anderen nicht anzuschauen, sondern nur auf deine eigene Intuition – und vor allen Dingen, deinen eigenen Verstand – vertrauen. Dann wird es eine Arbeit, die das Recht hat zu sein, z.B. weil der Kunde damit Geld verdient. Und dann sieht es gut aus. Das ist meine Theorie. Deswegen habe ich mir auch im Laufe der Zeit abgewöhnt, mir im Arbeitsprozess Projekte von anderen Designern anzusehen. Da wird man irre. Während eines Auftrags finde ich heraus, was die Frage ist und was eine relevante Antwort sein könnte. Es ist nicht interessant, wer ich bin, sondern was der Auftraggeber will. Das ist meine Inspiration. Jeder Auftrag bringt eine neue Inspiration mit sich.

Ich mag das Wort „basteln“ wirklich gerne.

Wie sieht dein Arbeitsablauf aus? Würdest du uns diesbezüglich Ratschläge mitgeben?
Ich merke an den Studenten und Praktikanten, dass jeder anders funktioniert. Manche schreiben erst einmal ganze Bücher voll, andere machen Skizzen, wieder andere kommen nicht und sind plötzlich fertig mit dem Projekt. Jeder hat eine andere Art, seinen kreativen Prozess zu strukturieren und muss das für sich selbst herausfinden. Für mich ist das: Gar nichts tun. Ein bisschen rumsitzen oder Fahrrad fahren. Ich habe dann ein imaginäres Bild vor Augen und fange an, Formen zu produzieren. Es gibt zwei Ebenen: Einmal das Gestalten im Kopf, ein theoretischer, intellektueller und philosophischer Prozess, und das Basteln. In der Bastelphase überprüfst du deine Gedanken: Funktionieren sie formal, gibt es vielleicht den Aspekt des Zufalls? Dann läuft es ganz unterschiedlich weiter; Ich denke, ich habe die Lösung gefunden, produziere Variationen, dann laufe ich damit wieder von der eigentlichen Idee weg und irgendwann kommt man in einer Zickzackroute zum Ziel. Das ist kein linearer Prozess. Das kann mitunter ein unglaublich nervtötender Weg sein. Den kreativen Prozess muss man für sich als Spielfeld definieren. Was gehört zu den Spielregeln? Ich dachte früher immer: Schade, die Idee hat schon jemand gehabt und das war auch die einzige Lösungsmöglichkeit. Das ist natürlich Unsinn. Die Möglichkeiten sind so groß wie das Universum. Ihr müsst probieren, in diesem Universum der Möglichkeiten eure eigene Spielwiese für jeden Auftrag zu definieren. Wird es Fußball oder Handball? Oder wird es ein Fußballspiel, bei dem ich ab und zu die Hand benutzen darf, weil ich meine eigenen Regeln breche? Das ist ein Spiel und dann geht es los mit Basteln. Ich mag das Wort „basteln“ wirklich gerne.