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Die Motivation ist, etwas Bedeutungsvolles zu tun.

Text und Interview | Lars Kreuzmann
Fotos | Mind Design

Niels Schrader ist konzeptbezogener Informationsdesigner mit einer Vorliebe für Zahlen und Fakten. Er ist Gründer des Amsterdamer Designstudios Mind Design und Mitglied der AGI – Alliance Graphique Internationale. Neben seiner Tätigkeit als Gestalter lehrte er u.a. an der Technischen Universität Delft, an der ArtEZ-Hochschule der Künste in Arnhem und an der Willem de Kooning Akademie in Rotterdam. Seit 2013 leitet er zusammen mit Roosje Klap den Fachbereich Design an der Koninklijke Academie van Beeldende Kunsten in Den Haag. Bevor er sich selbständig machte, arbeitete er einige Jahre als freier Mitarbeiter für führende Gestalter wie Uwe Loesch und Irma Boom.

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Niels Schrader: Gründer von Mind Design (Foto: reddot)

Warum bist du nach Amsterdam zum Studieren und Arbeiten gegangen?
Ich war schon halb auf dem Weg nach Barcelona, als ich mich in die Stadt Amsterdam verliebte. Die Stadt hat mir sofort gefallen, denn Amsterdam hat nicht nur den richtigen Charme, sondern besitzt auch eine sehr innovative Freidenker-Mentalität. Das Aufregende an dieser Stadt ist, dass sie dir fortwährend neue Blickwinkel verschafft und ganz und gar antireaktionär ist (etwas, das vor allem historisch bedingt ist). Ich kam hierher um mich während meines Studiums am Sandberg Instituut ganz den Neuen Medien zu widmen. Die Stadt ist in diesem Feld schon immer sehr progressiv gewesen, und so gab es vor 20 Jahren hier schon so etwas wie ein nicht-kommerzielles Facebook. Das Projekt hieß De Digitale Stad (DDS) und war seiner Zeit weit voraus. Man sollte nicht vergessen, dass das Internet damals ja noch aus Telefonmodem und Netscape-Browser bestand. Aber es gibt ja noch weitere interessante Beispiele, die das belegen. So befindet sich im Amsterdamer Science Park einer der wichtigsten Internet-Knotenpunkte der Welt, der sogenannte Amsterdam Internet Exchange (AMS-IX). Hier treffen alle transatlantischen Verbindungen auf das europäische Festland. Oder aber die vielen Start-Ups wie WeTransfer, Layar, TomTom oder Booking.com., ... die sich alle in den letzten Jahren zu namhaften IT-Unternehmen entwickelt haben. Alles Faktoren, die zur Entwicklung der digitalen Infrastruktur beitragen. Es ist genau dieser Geist des digitalen Pioniers, der mich fasziniert, inspiriert und letztendlich nach Amsterdam gebracht hat.

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Annual Report – Moondrian Foundation, 2008/2009
Du arbeitest in Deutschland und in den Niederlanden. Siehst du Unterschiede zwischen deutschem und niederländischem Design? Was könnte niederländisches Design repräsentieren?
Deutsches Design ist konzeptionell stark, aber dabei auch sehr kopflastig, wohingegen niederländisches Design sehr experimentell und unglaublich formverliebt ist. Wenn Deutschland das Land der Dichter und Denker ist, dann sind die Niederlande ohne Zweifel das Land der Seefahrer und Entdecker. Dieser wesentliche Unterschied manifestiert sich zwangsläufig auch in verschiedenen Entwurfsprozessen. Ich selbst denke, dass das Spielerische und Freie zwar einerseits gut ist, aber andererseits auch die Inhalte nicht unberücksichtigt bleiben sollten. Der Schlüssel zum Erfolg liegt wohl irgendwo in der Mitte – denn was bringt uns bitteschön gutes Design ohne Botschaft und wie entschlüsseln wir eine Botschaft, die nicht kommuniziert?
Gibt es Designer, die für dich niederländisches Design repräsentieren?
Keine Frage: Roosje Klap! Sie ist meine Kollegin an der Koninklijken Academie van Beeldende Kunsten in Den Haag und verkörpert genau diesen niederländischen Ansatz. Sie ist ein Freigeist, der sehr viel Spaß bei dem hat, was sie tut und sich dabei gleichzeitig auch inhaltlich auf einem sehr hohen Niveau bewegt.
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Annual Report – Moondrian Foundation, 2008/2009
Lass uns über dich und deine Arbeit reden. Die erste Frage ist: Was ist Design für dich?
Ich ziehe den deutschen Begriff „Gestaltung“ dem englischen Wort „Design“ vor. Weil er viel weniger abgegriffen ist und der eigentlichen Bedeutung des Schöpfens deutlich näher kommt. Nach meiner Auffassung ist Gestaltung nämlich mehr als nur eine Dienstleistung, es ist auch eine Attitüde („Gestaltung ist Haltung“, behauptete schon Helmut Schmid). Wenn es beim Gestalten um das Lösen von Problemen geht, heißt das, dass Problemfelder definiert, bzw. artikuliert werden müssen. Indem wir in unserer Arbeit das Wesentliche aus dem Informationsüberangebot destillieren und damit auch die Kommunikationsinhalte bestimmen, sind wir in der Lage, Meinungen zu schaffen und womöglich sogar zu manipulieren. Das ist nicht nur eine enorme gesellschaftliche Verantwortung, sondern erfordert auch eine aktive Teilnahme am sozialpolitischen Diskurs.

Die Welt ist voller Probleme, die gelöst werden müssen.

Was ist deine Motivation als Designer?
Der Glaube, die Welt zu verändern. Natürlich nicht im großen Umfang, sondern eher in kleinen Schritten. Das ist übrigens auch der Grund, warum ich unterrichte. Um etwas an die nächste Gestaltergeneration weiterzugeben. Die Welt ist ja voller Probleme, die gelöst werden müssen. Und von alleine passiert das leider nicht. Das schafft eine natürliche Entschlossenheit, die meine Arbeit bestimmt.
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Hyperbody – First Decade of Interactive Architecture, 2012
Was schmerzt deine Augen?
Meine Antwort ist wohl eher konzeptioneller als ästhetischer Natur. Bedeutungsloses Design tut meinen Augen weh: Design for the sake of design. Design, dem man keine Daseinsberechtigung entnehmen kann, Design, dem jede Legitimierung fehlt. Kitsch fällt wohl nicht in die Kategorie, denn „Kitsch ist ein Menschenrecht“ (Credo von Uwe Loesch). Kitsch ist damit eher langweilig, als dass er schmerzt. Tut Werbung weh? Eigentlich nicht, denn sie hat definitiv ihren Zweck. Hässliches Design? Das ist schon in Ordnung, denn das muss es ja auch geben (dann hat jemand eben einen schlechten Geschmack). Ganz schlimm ist es, wenn jemand nichts zu sagen hat. Das schmerzt am meisten!

Einmischung als erste Bürgerpflicht!

Was inspiriert dich?
Interdisziplinäre Zusammenarbeit ist etwas, was mich sehr inspiriert. Von Menschen aus anderen Arbeitsfeldern wie zum Beispiel Musik, Architektur oder Software kann man viel lernen. Es ist eine hervorragende Art und Weise, um sich über die neuesten Entwicklungen auf dem Laufenden zu halten. Denn man hört ja nie auf zu lernen... Und natürlich gilt das auch für die Hochschule! Ich lerne von meinen Studenten mindestens genauso viel wie sie von mir. Das hält die grauen Zellen fit!
Welche Erfahrungen waren wichtig und haben deine heutige Arbeit als Designer beeinflusst?
In meiner beruflichen Laufbahn gab es zwei entscheidende Momente: der eine war ohne Zweifel die Mitarbeit in der Arbeitsgemeinschaft für visuelle und verbale Kommunikation von Uwe Loesch und der andere mein Studium am Sandberg Instituut in Amsterdam. Bei Uwe Loesch lernte ich z.B. den Umgang mit komplexen Kommunikationsinhalten und, dass Design auch eine politische Funktion haben kann. Die politischen Plakate von Uwe Loesch sind ja immer eine Einmischung, bzw. Stellungnahme zu gesellschaftlich relevanten Themen. Das Studium am Sandberg Instituut hingegen hat den Grundstein gelegt für meine kritische Haltung zu den elektronischen Medien. Weil es – wie ich finde – auch die Aufgabe des Gestalters ist, im Zeitalter von Facebook und Google die Medien als Kontrollorgan der bürgerlichen Demokratie zu überprüfen. Weil wir uns vor einem unreflektierten Umgang mit den elektronischen Medien hüten sollten und, weil wir die Gestalt dieser Medien mitbestimmen müssen. Einmischung als erste Bürgerpflicht!

Einmischung als erste Bürgerpflicht!

Wie hat sich dein Blick auf Design im Laufe der Jahre verändert?
Was sich vor allem geändert hat, sind die Medien, die gestaltet werden müssen. Während der Gründungszeit von Mind Design waren die Aufträge für Drucksachen noch in der Überzahl. Inzwischen hat sich das Blatt aber gewendet und die digitalen Projekte haben deutlich zugenommen. Dements gestalterischen prechend haben sich also vor allem die Ausdrucksformen verändert, nicht aber die Inhalte. Die Benutzerschnittstellen werden dialogischer und damit müssen auch immer mehr Entscheidungsmomente im Kommunikationsprozess antizipiert werden. Da alle möglichen Szenarien im Voraus erwogen und ausgearbeitet werden müssen, gestaltet man als Designer gegenwärtig eher Informationsmöglichkeiten anstelle von Informationszuständen.
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Hyperbody – First Decade of Interactive Architecture, 2012
Wie hat sich dein Blick auf Design im Laufe der Jahre verändert?
Was sich vor allem geändert hat, sind die Medien, die gestaltet werden müssen. Während der Gründungszeit von Mind Design waren die Aufträge für Drucksachen noch in der Überzahl. Inzwischen hat sich das Blatt aber gewendet und die digitalen Projekte haben deutlich zugenommen. Dements gestalterischen prechend haben sich also vor allem die Ausdrucksformen verändert, nicht aber die Inhalte. Die Benutzerschnittstellen werden dialogischer und damit müssen auch immer mehr Entscheidungsmomente im Kommunikationsprozess antizipiert werden. Da alle möglichen Szenarien im Voraus erwogen und ausgearbeitet werden müssen, gestaltet man als Designer gegenwärtig eher Informationsmöglichkeiten anstelle von Informationszuständen.
Lass uns über eines deiner Projekte reden.
Eine meiner wichtigsten Arbeiten ist zweifellos der Geschäftsbericht für die Mondriaan Stichting in Amsterdam. Eine Stiftung, die Förderungsmittel für Kulturschaffende aus den Niederlanden vergibt. Der Bericht ist ein Kontrollinstrument der Stiftung, mit dem sie der Öffentlichkeit Rechenschaft über die Finanzen des abgelaufenen Geschäftsjahres ablegt. Die Grundidee für die Gestaltung ist ziemlich einfach: Der Bericht stellt die Mondriaan Stichting als Hub dar und visualisiert sie als Knotenpunkt im Netzwerk der niederländischen Kulturlandschaft. Egal ob Investor, Kunstschaffender oder Sammler, an diesem Ort treffen sich alle Großen aus der Szene. Es war mir sehr wichtig, dass der Geschäftsbericht diesmal nicht nur die Zahlen und Statistiken des vergangenen Rechnungsjahres in den Mittelpunkt stellt, sondern die Institution vielmehr in ihrer Funktion als Forum, bzw. Treffpunkt repräsentiert wird. Ausgearbeitet haben wir das Prinzip letztendlich mithilfe einer selbst entwickelten Software, die sachverwandte Wörter und Synonyme miteinander verbunden hat. Das Ergebnis ist ein Geschäftsbericht voller blauer Linien, die die verschiedenen Inhalte der Publikation wie durch Hyperlinks miteinander verknüpfen.
Welche Resonanz gab es auf den Bericht?
Der Geschäftsbericht, der Annual Report, hat mittlerweile so etwas wie einen Kultstatus erlangt. In fast jeder Kunstinstitution, bei der ich zu Gast war, steht dieses Exemplar im Schrank – und das, obwohl Geschäftsberichte ja nur eine relativ kurze Lebensdauer haben. Er ist wegen der Farbe leicht erkennbar und wird deshalb auch die „blaue Ausgabe“ genannt. Ich finde es großartig, dass einem Jahr auf diese Art und Weise eine ganz eigene Farbe zugeordnet wird.
Wir haben noch eine letzte Frage: Wie fühlt sich für dich ein Zuhause an?
Ich bin Europäer. Mir sind Nationalitäten egal. Würde mir jemand einen europäischen Pass anbieten, würde ich ihn sofort nehmen. Ich finde, das Konzept der Nationalstaaten ist komplett überholt. Zuhause ist, wo ich meine Freunde habe, wo mein Partner ist und wo ich Internetanschluß habe. Das entspricht auch viel mehr den gegenwärtigen, medialen Rahmenbedingungen. Wir leben in einer kosmopolitisch geprägten Zeit, in der das Haus wieder mehr seiner ursprünglichen Bedeutung als Umhüllendes gerecht wird. Der statische Aspekt (der übrigens auch in dem Begriff Staat steckt) wird wohl verblassen.

Danke für das Gespräch.